Die Ausgestorbenen
Es sind die Pflanzen in den Schlagzeilen, nicht die auf der Wiese,
in Wäldern und Sümpfen, Gärten und Parks.
Es sind die Pflanzen, die in den Konjunktiv gezogen sind,
weil wir sie umtopften in imaginäre Parks,
Erdgeschichte, Kapitel. Jene, die Neubaugebieten
gewichen sind, Umgehungsstraßen und Kraftwerken,
im Paralleluniversum riechen sie wunderbar,
in diesem nur nach Papier und Listen,
schlechtem Gewissen und hohem Gewinn.
Wir befinden uns tief im Gestrüpp von Schuld,
das über verlorene Schmuckstücke wächst, weggeworfene Ringe,
Fußkettchen aus angelaufenem Silber. Vergeblich verhandeln wir
alte Gefühle, suchen nach Bildern, die sich im Traum bewegen.
In meinem Brustkorb funkelt mein Herz wie ein versteckter
Kressesamen, ein Blättchen Löwenzahn.
Schwaches Licht fällt auf etwas, das an die Wand gezeichnet ist,
und ich sehe, es sind Bilder der ausgestorbenen Pflanzen.
Für einen Augenblick flüstern alle ihre Namen gleichzeitig,
und ihre Farben leuchten noch einmal auf,
leuchten und leuchten, addieren sich zum Frühling,
wie es ihn kaum je gegeben hat,
wie er kaum jemals in Öl existierte oder auf Hochglanzpapier,
wie er niemals in Fabriken hergestellt wird oder Industrieparks,
gebaut auf dem Areal, das einst das ihre war, jetzt
so wild überwuchert von etwas Neuem.
silke scheuermann
aus "skizze vom gras" 2014